Freitag, Oktober 05, 2007

OLG Oldenburg: Merkantiler Minderwert trotz hoher Laufleistung

Das OLG Oldenburg zieht seine Konsequenzen daraus, dass moderne Fahrzeuge eine höhere Lebenserwartung haben als noch vor ein paar Jahren:

Bei Unfallschäden an Fahrzeugen entsteht regelmäßig ein zusätzlicher Schaden dadurch, dass das reparierte Fahrzeug auf dem Gebrauchtmarkt weniger wert ist als ein gleichwertiges "unfallfreies" Fahrzeug. Dieser "merkantile Minderwertsschaden" muss vom Schädiger daher zusätzlich zu den Reparaturkosten ersetzt werden. In der Vergangenheit wurde in der höchstrichterlichen Rechtsprechung jedoch davon ausgegangen, dass ein solcher Schaden bei älteren Fahrzeugen und insbesondere bei solchen mit einer Laufleistung von über 100.000 km nicht mehr eintreten könne, weil solche Fahrzeuge ohnehin keine nennenswerte Lebenserwartung mehr hätten, so dass ihr Handelswert so gering sei, dass ein Minderwertsschaden nicht mehr messbar sei.

Das OLG Oldenburg (Urteil vom 01.03.2007 - 8 U 246/06 - DAR 2007, 522f.) weist darauf hin, dass diese Auffassung mittlerweile überholt sei und im übrigen auch nicht mehr der höchstrichterlichen Rechtsprechung entspräche:

"Entgegen der Auffassung des LG entspricht es nicht mehr höchstrichterlicher
Rechtsprechung, dass bei Pkw im allgemeinen eine Fahrleistung von 100.000 km als
obere Grenze für den Ersatz eines merkantilen Minderwerts anzusetzen ist. ...
Maßgeblich ist mithin nicht allein die Laufleistung des Fahrzeugs, sondern deren
Bedeutung für die Bewertung des Fahrzeugs auf dem Gebrauchtwagenmarkt. Diese
Bedeutung kann sich im Laufe der Zeit mit der technischen Entwicklung und der
zunehmenden Langlebigkeit der Fahrzeuge ändern. Ein entsprechender Wandel auf
dem Gebrauchtwagenmarkt spiegelt sich insbesondere in der Bewertung von
Gebrauchtfahrzeugen durch Schätzorganisationen wie Schwacke und DAT wider, die
in ihren Notierungen inzwischen auf bis 12 Jahre zurückgehen und ausdrücklich
darauf hinweisen, dass sich sämtliche Marktnotierungen auf unfallfreie Fahrzeuge
beziehen (vgl. BGH NJW 2005, 277, 279). Auf eine starre Kilometergrenze kann
danach nicht mehr abgestellt werden. ..."


Im entschiedenen Fall sprach das Gericht einem 3 1/2 Jahre alten TDI mit 195.000 km Laufleistung noch einen Minderwert von 250,- Euro zu.

Und wieder einmal: Beweis der HWS-Verletzung

Ein schier endloses Thema stellt mittlerweile der Beweis eines erlittenen HWS-Traumas dar. Gerade bei Auffahrunfällen stellt dieses nämlich sicherlich die häufigste Verletzungsart dar. Ein Beweis fällt den Verletzten jedoch regelmäßig schwer. Im einzelnen:

Wer behauptet, eine HWS-Verletzung erlitten zu haben, muss diese Behauptung beweisen. Beweismaßstab ist dabei § 286 ZPO. Er muss also mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit nachweisen, dass eine körperliche Befindlichkeitsbeeinträchtigung eingetreten ist (aus juristischer Sicht ist die Befindlichkeitsbeeinträchtigung die Körperverletzung, nicht deren Ursache, vgl. BGH VersR 94, 55). Eine rein psychische Befindlichkeitsbeeinträchtigung ist nur dann ausreichend, wenn sie ihrerseits Krankheitswert hat. Wie aber will ich eine Verletzung nachweisen, die sich in den seltensten Fällen durch Röntgen u.ä. objektivieren lässt? Die Rechtsprechung bedient sich hierbei häufig sog. "interdisziplinärer Sachverständigengutachten", bei denen das Maß der erlittenen Beschleunigungskräfte ermittelt wird, die auf den Geschädigten gewirkt haben.

Daneben kommen aber auch weitere Erkenntnismöglichkeiten in Betracht, etwa die Vernehmung des erstbehandelnden Arztes, des vor- und des weiterbehandelnden Arztes und der Familie des Geschädigten zur Frage des Gesundheitszustandes des Geschädigten vor und nach dem Unfall. Die Versicherer wenden regelmäßig ein, dass eine solche Zeugenbefragungen unzulässig seien und untermauern diese Ansicht mit ein paar Hinweisen auf entsprechende Rechtsprechung. Das Schleswig-Holsteinische OLG (Urteil vom 29.06.2007 - 7 U 94/05 - SchlHA 2007, 377, 378) hat nunmehr in einer Entscheidung eine solche Zeugenbefragung von Ärzten, die den Geschädigten vor dem Unfall behandelten, ausdrücklich gebilligt. Ebenso hat es die Befragung von weiteren Zeugen zum Gesundheitszustand des Geschädigten vor und nach dem Unfall (und auch unmittelbar am Unfallort) als zulässig bestätigt und somit die Auffassung der Versicherer negiert.

Ein Prozess über HWS-Verletzungen bleibt also eine aufwendige (und teure) Angelegenheit. In der Regel sind jedoch die Streitwerte demgegenüber recht gering, so dass solche Prozesse häufig völlig unwirtschaftlich für alle Beteiligten sind. Alle Seiten sind daher gut beraten, außergerichtliche Lösungen herbeizuführen.