Dienstag, März 28, 2006

Keine Rechtskrafterstreckung abweisender Urteile in Bezug auf immateriellen Vorbehalt

Der BGH (Urt. v. 14.02.2006 - VI ZR 322/04) hat noch einmal deutlich gemacht, daß bei Abweisung eines Antrags bezüglich eines materiellen oder immateriellen Vorbehalts, dies nicht automatisch Rechtskraft im Hinblick auf jegliche zukünftige unvorhergesehene Schäden entfaltet.

Die Klägerin hatte aufgrund eines Unfalls Nervenschädigungen insbesondere am Arm erlitten, die dazu führten, daß sie Arm und Hand nicht mehr uneingeschränkt nutzen konnte. Im Prozeß um diese Schäden erklärte der gerichtliche Gutachter, daß bezüglich dieses Zustandes keine Besserungen, aber auch keine Weiterungen zu erwarten seien. Daher wurde dem Antrag auf Schmerzensgeld zwar stattgegeben, der Antrag auf Feststellung der Verpflichtung zum Ersatz künftiger immaterieller Schäden wurde jedoch abgewiesen. Dies wurde damit begründet, daß der Zustand des Arms sich nach aller Voraussicht nicht mehr verschlimmern werde. Einige Zeit später verursachten die zunächst nicht beachteten Nervenschädigungen am Rückenmark jedoch erhebliche Beschwerden im Bereich des Rückens. Hiervon war im Vorprozeß keine Rede gewesen. Der BGH stellt hierzu fest:

"Die Entscheidung des Gerichts stellt die Rechtslage im Regelfall nur für den Zeitpunkt zum Schluß der mündlichen Verhandlung fest. Einigkeit besteht deshalb darüber, daß die Rechtskraft nicht daran hindert, sich zur Begründung einer neuen Klage auf Tatsachen zu berufen, die erst nach diesem Zeitpunkt entstanden sind. Es kann insbesondere geltend gemacht werden, der in dem Vorprozeß als nach dem damaligen Sachstand nicht begründet abgewiesene Anspruch sei inzwischen begründet geworden."

Zwar könne die Rechtskraft eines (abweisenden) Feststellungsurteils die Geltendmachung weiterer Spätschäden ausschließen, dies setze jedoch voraus, daß die Spätschäden bei der Prognoseentscheidung im Erstprozeß im Klagegrund enthalten gewesen seien. Dies aber setze wiederum voraus, daß entsprechend vorgetragen wurde und der Feststellungsantrag auch auf unvorhergesehene Spätschäden gestützt war.

Seltsame Ösis

Mein Mandant erscheint mit einer "Strafverfügung" der Bezirkshauptmannschaft Tamsweg im schönen Salzburger Land. Die "Tat" (Überholen im Überholverbot) soll im Mai 05 erfolgt sein. Das Schreiben datiert vom 19.10.05, zugestellt an den Mandanten im Februar 06.

Zunächst einmal fällt auf, daß noch im Januar 06 der Arbeitgeber des Mandanten angeschrieben wurde mit der Bitte um Mitteilung der Fahrerdaten. Wie kann dann eine auf meinen Mandanten adressierte "Strafverfügung" schon im Oktober des Vorjahres ergangen sein? Soll der Adressat glauben, daß das Schreiben fast ein halbes Jahr lang von Österreich nach Norddeutschland unterwegs war?

Nach einem kurzen Hinweis auf die (österreichischen) Verjährungsvorschriften hatte die Bezirkshauptmannschaft Tamsweg ein Einsehen und stellte das Verfahren ein. Mich hätte aber doch mal interessiert, ob die mir die beantragte Akteneinsicht durch Übersendung der Ermittlungsakten gewährt hätten...

Montag, März 27, 2006

SV-Gutachten zu HWS-Verletzungen unnötig

Das Landgericht Kempten (MittBl. der ARGE Verkehrsrecht 1/2006, S. 26) hat entschieden, daß interdisziplinäre Sachverständigengutachten zu HWS-Distorsionen in aller Regel nicht geeignet seien, Aufklärung über das tatsächliche Verletzungsgeschehen und einen tatsächlichen Verletzungsablauf zu schaffen. Derartige Gutachten seien daher in aller Regel unnötig, entscheidendes Gewicht bei der Entscheidungsfindung dürfe ihnen daher nicht zukommen.

Denn zu den entscheidenden Fragen in diesem Zusammenhang (etwa zur sog. Harmlosigkeitsgrenze), herrsche schon Streit unter den Sachverständigen, so daß deren Gutachten für die Gerichte meist wenig weiterführend seien. Entscheidender sei vielmehr der Vergleich zwischen Zustand des Verletzten vor und nach dem Unfallgeschehen.

Vielen Dank, liebes LG Kempten! Nachdem der BGH bereits eindeutig erklärt hat, daß der Richter sich in seiner Entscheidungsfindung nach der ZPO (§§ 286, 287) und nicht allein nach irgendwelchen durch Gutachten ermittelten Zahlen und Wahrscheinlichkeiten richten darf, ist diese Entscheidung konsequent. Denn die SV-Gutachten können bei den entscheidenden Fragen ohnehin nicht oder nur wenig weiterhelfen. Einzig der Frage der kollisionsbedingten Geschwindigkeitsänderung kommt hier eine gewisse Indizwirkung zu, welche daher nach wie vor durch Gutachten zu klären sein wird. Aber Fragen wie "out-of-position-Haltungen" und ähnliches sind völlig irrelevant, da bislang hierzu keinerlei zielführende Studien vorliegen, die hierzu verlässliche Anhaltspunkte liefern.

Freitag, März 24, 2006

Beschädigungen von geparkten Fahrzeugen durch spielende Kinder

Durch die Änderung des Schadensersatzrechtes ab August 2002 wurde durch den Gesetzgeber festgelegt, daß künftig Kinder unter zehn Jahren für Schäden, die sie bei einem Unfall mit einem Kraftfahrzeug verursachen, nicht mehr haften (§ 828 Abs. 2 BGB). Dies führte dazu, daß einige Gerichte entschieden, daß Kinder auch für Schädigungen an parkenden Autos nicht mehr haften sollten.

Der BGH (VI ZR 335/03) hat klargestellt, daß Kinder unter zehn Jahren nur dann von der Haftung frei seien, wenn sich die „spezifischen Gefahren des motorisierten Verkehrs“ realisiert hätten.

Bei parkenden Autos, die von spielenden Kindern beschädigt werden, ist dies jedoch in der Regel nicht der Fall, so daß der Geschädigte seinen Schaden ersetzt verlangen kann. Glücklicherweise hat sich der BGH damit der bereits herrschenden Literaturauffassung angeschlossen. Denn es wäre wohl kaum einem Nichtjuristen vermittelbar gewesen, wenn ein abgestelltes Fahrrad oder ein Gebäude, welche von spielenden Kindern beschädigt werden, eine Ersatzpflicht auslösten, ordnungsgemäß geparkte Kfz jedoch nicht.

Es bleibt darauf hinzuweisen, daß Kinder unter sieben Jahren grundsätzlich nicht haften (§ 828 I BGB). Hier kommt man allenfalls über eine Aufsichtspflichtverletzung der Eltern weiter - so denn eine vorliegt und beweisbar ist...

Montag, März 20, 2006

Haftet der Auffahrende doch nicht immer?

Bei der Frage, ob der Auffahrende trotz eines Rotlichtverstoßes des Gegners haftet, hat das Landgericht Hamburg nun Termin angesetzt. Diese Sache scheint also nicht völlig aussichtslos zu sein... To be continued...

Mittwoch, März 15, 2006

Quotenvorrecht - Was ist das denn???

Ich komme gerade von einem Termin, bei dem sowohl die erkennende Richterin als auch der gegnerische Kollege das Quotenvorrecht noch nicht kannten - wie wahrscheinlich eine ganze Reihe von Juristen, die sich mit Verkehrsrecht beschäftigen.

Mein Mandant hatte seine Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen, weil der Gegner die Zahlung abgelehnt hatte. Die verbliebenen Schäden wurden also mit der Klage geltend gemacht. Im Termin sollte sich auf "50/50" geeinigt werden - so weit einverstanden. Dann jedoch die Berechnung des verehrten Kollegen:
Selbstbeteiligung + Minderwert + Nutzungsausfall + Kostenpauschale + Rückstufungsschaden, das ganze geteilt durch zwei, macht...
Auf meinen Einwand, daß dies aber mit dem Quotenvorrecht nicht vereinbar sei, erntete ich von allen Seiten nur Ungläubigkeit. Daher hier die Berechnung, worauf mein Mandant tatsächlich Anspruch hat (wer sich zum Thema informieren möchte, empfehle ich den Aufsatz von Lachner, ZfS 1999, 184):

(Reparaturkosten + Minderwert) abzüglich geleisteter Kaskoentschädigung

ergibt den kongruenten Schaden, den mein Mandant vollständig ersetzt verlangen kann.

Außerdem kommt hinzu:
Nutzungsentschädigung + Anwaltskosten + Rückstufungsschaden + Kostenpauschale

ergibt den weiteren (nicht kongruenten) Schaden, den mein Mandant nur zur Hälfte ersetzt verlangen kann. Der Anspruch auf den vollen kongruenten Schaden wird natürlich begrenzt durch den prozentualen Gesamtersatzanspruch des kongruenten Schadens, der im Regelfall aber nicht überschritten wird (nur bei sehr großem Haftungsanteil des Mandanten).
Rechnet man hingegen nach der zuerst genannten Variante ab, verschenkt man einen nicht unerheblichen Teil des Schadensersatzanspruchs an die Gegenseite, nämlich einen großen Teil des kongruenten Schadens. Ein klarer Beratungsfehler des Anwalts, der zum Haftungsfall führt...

Im o.g. Fall wurde sich der Einfachheit halber also "nur" auf eine Haftungsquote geeinigt, abgerechnet wird dann mit der Versicherung, der das Quotenvorrecht hoffentlich bekannt ist.